Geschichte und Entwicklung |
Die Entwicklung des anfangs noch
Handy Game genannten Systems begann im Jahr 1986 bei der amerikanischen Videospielschmiede Epyx. Beteiligt an der Entwicklung waren die beiden ehemaligen Amiga-Entwickler R.J. Mical und Dave Needle, sie wurden von Epyx-Manager David Morse – ebenfalls ehemaliger Amiga-Mitarbeiter – engagiert, um eine tragbare Spielkonsole zu entwickeln. Die Idee dazu stammte von Morses Sohn, der seinen Vater beiläufig beim Mittagessen fragte, ob er eine solche Konsole bauen könne. Bereits 1987 sind die Entwicklungsarbeiten beendet und das System könnte nun theoretisch vorgestellt unc vermarktet werden – jedoch hat die Entwicklung des Systems derart viel Geld gekostet, dass Epyx das aus eigener Kraft nicht mehr stemmen konnte. Erst im Januar 1989 hatte die Firma wieder genug Geld, dass das System auf der Winter CES vorgestellt werden konnte, dort wurde dann auch Atari auf das Projekt aufmerksam. Andere große Anbieter der Branche, darunter auch Sega und Nintendo, lehnten eine Finanzierung des Epyx Handy Game ab. Atari investierte schließlich in das Handy Game, nahm aber noch Veränderungen vor. Der interne Lautsprecher wurde gegen ein anderes Modell ausgetauscht und der ursprünglich geplante Stick auf dem Steuerkreuz wurde weggelassen. Im Sommer 1989 wurde das System dann als
Atari Portable Color Entertainment System vorgestellt, die Spiele dazu sollten aus dem Hause Epyx kommen. Am 14. August 1989 wurde die Konsole dann
Atari Lynx getauft und im November 1989 die ersten Geräte an den Handel ausgeliefert. Im ersten Monat wurde bereits neunzig Prozent der 50.000 produzierten ersten Charge, die in New York in den Handel kam, ausverkauft. Der Entwickler jedoch meldete Insolvenz an und so wurde Atari quasi über Nacht alleiniger Eigentümer des Systems, auch die Spiele mussten nun bei Atari selbst produziert werden. Was den Atari-Verantwortlichen dabei ein wenig sauer aufgestoßen haben dürfte, ist die Tatsache, dass zur Entwicklung der Spiele ausgerechnet Computer des Typs Commodore Amiga angeschafft werden mussten. Das System wurde von Experten von Anfang an hochgelobt, die Zeitschrift
Dragon vergab 1990 die volle Punktzahl beim Test und sagte voraus, dass der Lynx den Game Boy in die Steinzeit zurückkatapultieren werde, aus der dieser stamme. Bis Ende 1990 stiegen die Verkaufszahlen auf 500.000, Ende 1991 waren es 800.000 verkaufte Lynx-Einheiten. Der Rückgang in den Verkaufszahlen lässt sich dadurch erklären, dass der Nintendo Game Boy trotz minimalistischer Technik und Graustufen-Display den Markt vollkommen beherrschte und dazu seit Mai 1991 mit dem Sega Game Gear eine weitere Handheld-Spielkonsole mit Farbbildschirm und einer zum Lynx bereits vergleichsweise großen Spielebibliothek auf dem Markt war. Im Juli 1991 antwortete Atari auf den Game Gear mit einer verbesserten Version des Lynx, die intern
Lynx II genannt wurde. Die Verbesserungen betrafen vor allem die Batterielaufzeit, die Gestaltung und die Größe der Konsole. Die Hintergrundbeleuchtung kann nun abgeschaltet werden, um Energie zu sparen, und der Preis wurde glatt halbiert. Trotzdem gelang es dem Lynx nicht mehr, den durch die Konkurrenz eingefahrenen Vorsprung wieder einzuholen. Gründe hierfür waren sicherlich die stark unregelmäßigen Spieleveröffentlichungen und das seitens Atari von Anfang an schmal gehaltene Marketing-Budget. Schließlich wurde die Produktion des Lynx im September 1994 eingestellt, Ende 1995 wurden dann alle Vertriebsaktivitäten eingestellt. Insgesamt wurden etwa drei Millionen Lynx-Konsolen verkauft – zum Vergleich: Game Gear kommt im Zeitraum von Mai 1991 bis Ende 1995 auf sieben Millionen, der Game Boy bis 1995 sogar auf 16 Millionen Exemplare. Die Rechte am Lynx wurden von Hasbro im Mai 1999 freigegeben, so dass der Lynx heute, wie auch der
Jaguar, eine Public Domain-Plattform ist.
Lynx Screenshot - Spiel: Chip's Challenge
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Der Lynx bot beim Erscheinen 1989 einige innovative Eigenschaften. Er war das erste Handheld-System mit hintergrundbeleuchtetem Farbbildschirm am Markt, Bildschirm und Steuerkreuz können softwareseitig um 180° gedreht werden, um auch Linkshändern ein gutes Spielen zu ermöglichen. Mittels dem ComLynx-Kabel kann der Lynx mit bis zu 15 anderen Lynx-Geräten vernetzt werden. Der Lynx ist zudem das erste System mit hardwareseitiger Unterstützung für das Zoomen und die Verformung von Sprites. Das System hat eine Farbpalette von 4096 Farben (davon 16 pro Zeile gleichzeitig darstellbar) sowie integrierte mathematische und grafische Coprozessoren. Die von Dave Needle entwickelte Pseudo-3D-Darstellung war seinerzeit eins der herausragendsten Merkmale des Lynx.
Prinzipiell besteht Lynx aus den beiden Chips
Mikey und
Suzy. Der mit 16 MHz getaktete Mikey enthält den Hauptprozessor 65sc02 von Western Design Center, die Audiotechnik (vier Tonkanäle mit 8-Bit Digital-Analog-Wandler für jeden Kanal) sowie den Video-DMA-Treiber für den Bildschirm. Suzy, ein 16-Bit CMOS-Chip, der ebenfalls einen Systemtakt von 16 MHz aufweist, ist für die gesamte Grafikausgabe zuständig und beinhaltet außerdem den mathematischen Coprozessor. Dazu kommen 64 kB Arbeitsspeicher mit einer mittleren Zugriffszeit von 120 ns sowie 8 kB Videospeicher.
Wichtigstes Bauteil ist der 3½″-Flüssigkristall-Farbbildschirm mit Hintergrundbeleuchtung, welcher mit einer Auflösung von 160×102 Pixeln arbeitet. Die Stromversorgung erfolgt über das interne Batteriefach, welches sechs AA-Zellen aufnehmen kann, oder über externe Energiequellen wie ein
Netzteil, das
Battery Pack oder der
Cigarette Lighter Adaptor. An Anschlüssen stehen ein Kopfhörerausgang (ab Modell PAG-0400 in Stereo) und der ComLynx-Anschluss zur Verfügung. Dazu kommen Helligkeitsregler, Lautstärkeregler, das Steuerkreuz, jeweils zwei Feuerknöpfe oben und unten sowie fünf (Lynx I) bzw. sechs (Lynx II) Funktionstasten. Auf der Rückseite des Lynx II sind zwei Metallösen zu finden, durch die man einen schmalen Gurt fädeln kann. Die Module verstecken sich beim Lynx I unter einer Klappe an der rechten Gehäuseseite, beim Lynx II liegt der Modulschacht offen und zeigt zum oberen Ende.
Mainboard des Lynx II
Anschlüsse des Lynx II
Allgemeine Informationen |
Modellnummern |
PAG-0200 PAG-0201 PAG-0300 PAG-0400 PAG-0401 |
Handelsbezeichnung |
Atari Lynx |
Hersteller |
Atari (Japan) Corp.
Japan
EFA
EFA Corp.
No. 3-2, Tzu Chiang 4 Rd
Chung Li Ind. Park
Chung Li City, Taoyuan Hsien
Republik China |
Erstvorstellung |
LYNX I:
07.01.1989 (Winter CES, Las Vegas) (als Epyx Handy)
03.06.1989 (Summer CES, Chicago) (als Atari Portable Color Entertainment System)
LYNX II:
10.01.1991 (Winter CES, Las Vegas) |
Im Handel |
23.11.1989 (Lynx I, nur New York und andere ausgesuchte Städte)
12/1989 (Lynx I)
21.03.1990 (Lynx I)
04/1990 (Lynx I)
07.05.1990 (Lynx I, landesweit)
Q1/1991 (Lynx I)
08/1991 (Lynx II)
08/1991 (Lynx II)
Q4/1991 (Lynx II)
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Produktion eingestellt |
07/1991 (Lynx I) 09/1994 (Lynx II)
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Technische Informationen |
Hauptprozessor |
MIKEY (16-Bit Custom CMOS-Chip, 16 MHz beinhaltet:
- WDC 65sc02 Prozessor, max. 4 MHz, üblicherweise mit ca. 3,6 MHz getaktet
- Sound:
- 4 Audiokanäle
- 8-Bit Digital-Analog-Umwandler je Kanal
- Kanäle können im Triple-Analog-Modus betrieben werden, dadurch ergibt sich eine beinahe FM- bzw. PSG-Qualität erreicht
- Tonhöhe max. 100 Hz, Tiefe min. 32 Hz
- Video-DMA-Treiber (entwickelt von Jay Miner und David Morse)
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2. Prozessor |
SUZY (16-Bit Custom CMOS-Chip, 16 MHz) Eigenschaften:
Unbegrenze Anzahl an Blitter-Sprites mit Kollisionsprüfung
Hardware-Sprite-Größen-, Verzerrungs- und Neigungseffekte
Hardware-Decodierung von komprimierten Sprites
Hardware-Beschneidung und multidirektionales Scrollen
Variable Bildwiederholrate bis zu 75 fps
Mathematischer Coprozessor
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Arbeitsspeicher | 64 kB (2× 256 kBit DRAM, Zugriffszeit 120 ns) |
Medien | Steckkarten 128 kB bis 2 MB |
Weitere Komponenten | 8 Systemtimer (davon 2 für LCD-Timing und 1 für UART Interrupt-Controller UART (ComLynx), Format 8E1, max. 62500 baud
512 Bytes ROM mit Startprogramm und Ladesequenz |
Anschlüsse | Kopfhörerausgang Netzteilanschluss ComLynx |
Bildschirm | 3½″-Flüssigkristall-Bildschirm, hintergrundbeleuchtet mit Kaltkathoden-Fluoreszenzlampen (CCFL), 160×102 Pixel |
Stromversorgung | 6× AA-Batterien, 1,5 V, Lebensdauer ca. 4–5 Stunden (Lynx) bzw. 5–6 Stunden (Lynx II) alternativ externe Stromversorgung mittels Netzteil, Autoadapter oder Battery Pack |
Statistisches |
Neupreise |
11/89: $179,99 (2022: $433) (Lynx I)
07/91: $99,99 (2022: $219) (Lynx I)
08/91: $99,99 (2022: $219) (Lynx II)
08/91: $149,99 (2022: $328) (Lynx II Deluxe System Package)
11/91: $129,99 (2022: $284) (Lynx II Deluxe System Package)
04/90: £179,00 (2022: £404) (Lynx I)
11/90: £129,00 (2022: £291) (Lynx I)
02/91: £99,00 (2022: £208) (Lynx I)
07/92: £99,99 (2022: £214) (Lynx II Batman Returns Bundle)
1990: DM 399 (2020: € 345) (Lynx I)
1992: DM 199 (2020: € 160) (Lynx II)
04/90: ¥29800 (2022: ¥34250) (Lynx I) |
Verkaufte Einheiten |
ca. 3 Millionen |
Anzahl der Spiele |
123 (offizielle, ohne Repro und Homebrews) |
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Diese Version (Modell PAG-0200 bzw. PAG-0201) kam am 21. November 1989 zusammen mit dem Spiel
California Games, einem Netzteil und einem ComLynx-Kabel in New York in den Handel, größere Stückzahlen waren aber erst ab Frühjahr 1990 verfügbar. Das System besitzt noch eine Klappe über dem Modulschacht. Ärgerlich für viele Spieler ist die nicht abschaltbare Energiesparfunktion, die nach fünf Minuten Inaktivität das System einfach abschaltet – Spielstände wurden auf dem Lynx generell nicht gespeichert. Insgesamt gibt es vier optisch leicht unterschiedliche Varianten, die sich an der Form des Steuerpads (Kreuz oder kreisrund) und an der Farbe der Buttons (schwarz oder dunkelgrau) unterscheiden lassen, siehe untenstehende Bilder. Dies liegt vor allem daran, dass für die Fertigung der Konsole mehrere Hersteller in Japan und China beauftragt wurden. Die Konsole wurde im Juli 1991 mit Erscheinen des Lynx II eingestellt.
Atari Lynx I Einzelne Bilder zum Vergrößern anklicken |
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Die verbesserte Version (Modelle PAG-0300, PAG-0400 und PAG-0401) ist die Antwort auf Segas Game Gear. Das Modell PAG-0300 besitzt noch einen Mono-Kopfhörerausgang, beim Modell PAG-0400 ist dieser in Stereo ausgeführt, bei Modell PAG-0401 wird auch Panning (akustische Platzierung des Klangs im Stereobild) über den Stereoausgang geboten. Wesentliche Änderungen betrafen das nun deutlich modernere Design sowie Größe und Gewicht der Konsole. Außerdem lässt sich beim Lynx II mit einer zusätzlichen Taste die Hintergrundbeleuchtung abschalten, dafür entfällt die automatische Abschaltung des Systems nach fünf Minuten Inaktivität. Die Batterielaufzeit konnte um etwa eine Stunde erhöht werden. Erstmals auf den Markt kam die Konsole im Juli 1991, eingestellt wurde sie im September 1994.
Atari Lynx II Bilder Einzelne Bilder zum Vergrößern anklicken |
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Lynx II Marlboro Abenteuer Team |
Eine Sonderedition der Konsole, die vom Tabakkonzern Philip Morris in Deutschland samt dem Spiel
Marlboro Go! auf den Markt gebracht wurde. Genaue Stückzahlen sind unbekannt, es dürfte sich aber um wenige hundert Konsolen handeln.
Was die Überlegung – abgesehen von den offensichtlichen Zielgruppen – der Marketingabteilung hinter diesen Farbvarianten in pastellrosa und hellblau war, darüber kann man eigentlich nur spekulieren – auf den Markt kamen diese Varianten allerdings nicht. Technisch sind sie identisch mit dem Modell PAG-0400.
Bild mit freundlicher Genehmigung von atarimuseum.com
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Lynx arbeitet ausschließlich mit Steckkarten, die in ihrer Größe mit den Game Boy-Modulen vergleichbar sind. Die erste Generation dieser Karten war noch flach und stapelbar, aber es gab Schwierigkeiten, die Spiele wieder aus dem System zu bekommen. Daher wurden zwei kleine Greifstege angefügt, um das Handling zu verbessern. Die dritte und am weitesten verbreitete Variante sind Karten, die am oberen Ende umgebogen sind, womit sie bedingt auch wieder stapelbar wurden. Die Speichergröße beträgt üblicherweise 128, 256 oder 512 kB, mittels Bankswitching sind aber auch Größen bis zu 2 MB möglich. Insgesamt gibt es etwa 100 Spiele. Davon stammen die meisten aus dem Hause Atari, ein großer Teil hiervon wiederum wurde von der zu Time Warner gehörenden Schwesterfirma Atari Games auf Basis deren Arcadespiele entwickelt.
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Letzte Seitenbearbeitung: 25. August 2024