Der Aufstieg des Spiele-Imperiums – von Computer Space bis 7800 |
Das Geschäftsfeld der Videospiele hat alle Atari-Firmen von Anfang bis Ende begleitet – sei es die 1972 gegründete und 1984 aufgespaltene Atari Inc., die 1984 aus dem Split hervorgegangene und 1996 aufgelöste Atari Corporation oder die ebenfalls 1984 entstandene und 1999 umbenannte Atari Games Corporation.
Alles begann in den Sechzigern mit der Überlegung, den Fernseher von einem passiven zu einem aktiven Medium zu machen. Am Ende des Jahrzehnts taten sich die beim Tonbandgeräte-Hersteller Ampex angestellten Ingenieure Nolan Bushnell und Ted Dabney zusammen, um mit der Technik zu experimentieren. Daraus entstehen 1970 die ersten Entwürfe zu einem Spielautomat auf Basis eines Minicomputers (Mini bedeutet in diesem Fall in den Ausmaßen eines Kühlschranks – ein „normaler“ Computer nahm zu dieser Zeit noch einen ganzen Raum ein). Zusammen mit Larry Bryan gründen Bushnell und Dabney das Projekt
Syzygy. Wenig später wechselt Bushnell zum Spielautomatenhersteller Nutting Associates, wo ihm Räumlichkeiten zur Entwicklung eines Arcadespiels auf Basis des 1962 entwickelten und nur auf Universitätsrechnern spielbaren Computerspiels
Spacewar! zur Verfügung gestellt werden, auch die Herstellungskosten will Nutting übernehmen. Ende 1971 erscheint schließlich mit
Computer Space im futuristisch anmutenden Fiberglas-Gehäuse das weltweit allererste Arcade-Videospiel, die Kundschaft reagiert jedoch auf Grund der Komplexität des Spiels noch recht verhalten. Erst die Umsetzung der von Ralph Baer entwickelten Brownbox bzw. des Telespiels Magnavox Odyssey-100 als Arcadespiel
Pong brachte dann den Durchbruch – dafür gründeten Bushnell und Dabney im Juni 1972 mit Atari ihre eigene Firma.
Es folgte Spiel auf Spiel, eine Pong-Variante nach der anderen, aber auch Rennspiele und erste Shooter. Um den noch jungen Markt ein wenig anzuheizen, wurde 1973 mit Kee Games eine Scheinkonkurrenz ins Spiel gebracht, die unter anderem das Arcadespiel
Tank auf den Markt brachte. 1975 „fusionierte“ Kee Games dann mit Atari, die Marke wurde noch bis 1978 aufrechterhalten. 1975 kam mit
Indy 800 das erste Arcadespiel in Farbe auf den Markt, 1976 mit Kee Games'
Quiz Show! das erste aus dem Hause Atari mit einem Mikroprozessor anstelle einer Logikschaltung, 1979 mit
Lunar Lander das erste Spiel mit Vektor- statt Rasterbildschirm.
BattleZone wurde 1981 das erste Vektor-Arcadespiel mit Farbgrafik. Zahlreiche Spiele erlangten innerhalb kürzester Zeit Weltruhm, das 1979 erschienene Spiel
Asteroids ist bis heute auf Platz 6 der meistverkauften Arcadespiele weltweit. Auch andere Titel wie
Pong,
Breakout,
Missile Command,
Tempest und
Centipede erfreuen sich auch heute noch nach wie vor großer Beliebtheit. Neben Arcadespielen und Spielkonsolen brachte Atari aber auch einige elektromechanische Flipper auf den Markt, darunter auch mit
Hercules den bis heute größten serienmäßig produzierten Flipper der Welt. Die Pinball Division lief allerdings eher schleppend, so dass sie 1979 bereits wieder geschlossen wurde – die Produktionshallen wurden zur Fabrik für die Computer
400 und 800 umgebaut.
Atari-Spielkonsolen für zu Hause gab es ab 1975, zuerst unter der Marke Tele-Games für die Kaufhauskette Sears, ab 1976 dann auch unter eigenem Namen. 1977 erschien mit dem
Video Computer System nach dem Fairchild Channel F die weltweit zweite Spielkonsole mit auswechselbaren Spielen, 1979 wurde die Produktion der ersten Konsolengeneration komplett eingestellt. 1982 beherrschte Atari 80% des nordamerikanischen Videospielmarktes. Es folgten 1982 das
Atari 5200 SuperSystem und 1984 das
Atari 7800 ProSystem, beide sollten eigentlich das mittlerweile Atari 2600 genannte Video Computer System ablösen, erreichten aber nicht einmal annähernd dessen Verkaufszahlen. Zwischendurch experimentierte man bei Atari aber auch mit anderen Technologien, so wurden mit
Cosmos und
Spector zwei holografische Spielkonsolen in Auftrag gegeben, ebenso mit
Atari MindLink eine Spielsteuerung mittels Gedankenübertragung (oder vielmehr der Auswertung von EEG-Daten, basierend auf dem
Atari Bionic System) und ein
Sprachsynthesizer. In Japan erschien im Mai 1983 die Konsole
Atari 2800, die eine umgelabelte Variante der in Nordamerika vertriebenen Konsole Sears Video Arcade II darstellt. Der japanische Videospielproduzent Nintendo trat 1983 an Atari heran, um das gerade in Japan erscheinende
Famicom-System in Nordamerika unter deren Marke vertreiben zu können. Die Verhandlungen liefen jedoch auf Grund der Finanzkrise Ataris, dem Rücktritt von CEO Kassar und schließlich der Straffung der Warner-Tochter durch den neuen CEO Morgan derart schleppend, dass Nintendo diese im September 1983 abbrach. Zwei Jahre später wurde Famicom von Nintendo selbst sehr erfolgreich als Nintendo Entertainment System auf den Markt gebracht. Zwischen 1980 und 1984 erhielten auch drei ausländische Firmen Lizenzen, um Atari 2600-Spiele unter eigenem Label fertigen oder vertreiben zu lassen: In Brasilien war dies die Firma Polyvox aus der Nähe von São Paulo, in Westdeutschland die Firma Unicom Consumer Electronics aus Wiesbaden und in der Türkei Me-Ta Elektronik Endüstri aus İstanbul.
Was hoch steigt, kann tief fallen – der Video Game Crash von 1983 und seine Folgen |
Der nordamerikanische
Video Game Crash, der die gesamte Branche ins Straucheln brachte, geht zumindest in Teilen auf Atari zurück – weswegen er in Japan auch
アタリショック (Atari Shock) heißt. Erstmals warnte Roger Smith, Vice President for Company Affairs, im November 1981 vor dem Platzen der „Atari-Blase“. Alleine die Consumer Division machte in diesem Jahr einen Umsatz von 1,2 Milliarden Dollar, steuerte ein Drittel zum Gesamtumsatz des Medienriesen Warner Communications bei, und Atari galt zu dieser Zeit als die am schnellsten wachsende Firma in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Das Management indes bekam nicht genug und wollte 1982 weitere zehn Millionen Konsolen auf einen mittlerweile völlig übersättigten Markt werfen. Entwicklungen modernerer Systeme wurden oftmals abgeblockt, um die üppigen Managerboni für die Verkäufe des Video Computer Systems nicht zu gefährden, darunter vielversprechende Produkte wie beispielsweise holografischen Spielekonsolen. Hinzu kommt, dass Atari es versäumte, sich gewisse Patente zu sichern oder Lizenzbestimmungen einzuführen, was Drittanbieter wie Activision oder Imagic kräftig ausnutzten. Andere Hersteller zogen schnell nach und brachten massenweise Videospiele für das 2600-System auf den Markt, zum Teil zu absoluten Kampfpreisen, was dann wieder dazu führte, dass etliche Videospielfirmen noch im Jahr ihrer Gründung Konkurs anmelden mussten. Die Qualität der Videospiele litt unter diesem Druck ebenfalls massiv. Ein weiterer Faktor war die mittlerweile stärkere Leistungsfähigkeit der Heimcomputer gegenüber der Konsolen, gepaart mit einem ebenfalls starken Preiskampf vor allem zwischen Commodore und Texas Instruments. All dies und die in den Kundenaugen missglückten Videospiel-Umsetzungen des Kinohits
E.T. – The Extra-Terrestrial und des japanischen Arcadehits
Pac-Man führte dazu, dass Atari nach Millionengewinnen in den Vorjahren im Jahr 1983 eine halbe Milliarde Dollar Verlust einfuhr. Die Firma erholte sich von diesem Schlag nicht mehr und wurde 1984 aufgespalten – keine der beiden Nachfolgerfirmen konnte jedoch an die Erfolge Ataris Anfang der 1980er Jahre anknüpfen.
Nach dem Split – die wenig erfolgreichen Konsolen der Atari Corporation |
Die Produktion der 2600-Konsole wurde auch nach Übernahme der Consumer Division durch die Tramiels aufrechterhalten, um Geld in die leeren Kassen zu spülen. Im September 1984 kamen in Europa bereits die ersten Junior-Modelle in den Handel, die Produktion der 7800-Konsole wurde allerdings nur einen Monat nach Erscheinen in Südkalifornien gestoppt. Ab 1985 wurden dann die aus Lagerbeständen zusammengeschraubten übrigen 5200-Konsolen wieder auf den Markt gebracht. Allerdings sollte es noch bis 1986 dauern, bevor Atari wieder ernsthaft versuchte, in der Spielebranche Fuß zu fassen. Die Konsolen 2600 und 7800 erfuhren einen Relaunch mit zahlreichen neuen Titeln zu Billigstpreisen, um gegen die Übermacht des NES anzukämpfen. Im Spätsommer 1987 stieß das aus dem
65XE entwickelte
XE Game System als Topmodell auf den Markt. Diese Konsole war allerdings derart erfolglos, dass sie im Frühjahr 1989 weltweit gegen die bis dahin nur in den USA und Kanada erhältliche 7800-Konsole ausgetauscht wurde. Wie Nintendo 1983 trat der japanische Spielekonzern Sega Enterprises 1989 an Atari heran, um die neu entwickelte Konsole
Mega Drive in Amerika durch Atari vertreiben zu lassen. Da sich Atari-Boss Tramiel und Sega-Chef Rosen jedoch nicht auf einen Verkaufspreis einigen konnten, wurden die Verhandlungen abgebrochen und Sega brachte die Konsole als Sega Genesis im August 1989 selbst auf den Markt.
Eine andere extern entwickelte Konsole wurde jedoch unter der Atari-Marke vertrieben: Die von Epyx entwickelte tragbare Spielkonsole
Lynx, die zudem auch das weltweit erste Handheld-System mit beleuchtetem Farbdisplay ist, kam im November 1989 auf den Markt – nur wenige Monate nach dem Nintendo Game Boy. 1991 wurde die tragbare Konsole als Antwort auf den neu erschienenen Sega Game Gear überarbeitet und zum halben Preis erneut auf den Markt gebracht. Andere Projekte wie der
Mirai oder die 32-Bit-Konsole
Panther gelangten nicht zur Marktreife – der parallel zum Panther entwickelte
Jaguar hingegen schon. Aber: Waren schon 5200 und 7800 eher weniger beliebt bei den Kunden, geriet der 1993 erschienene Jaguar zum Fiasko. Aggressiv als die weltweit erste 64-Bit-Spielkonsole vermarktet, aber durch die Multiprozessortechnologie relativ schwer zu programmieren und effektiv zum großen Teil ein 16/32-Bit-System, blieb die Qualität etlicher Spiele doch weit hinter den Erwartungen oder vergleichbarer Spiele auf Konkurrenzsystemen zurück – und damit letztendlich auch die Verkaufszahlen. Immer weiter hinausgeschobene Spieleveröffentlichungen sowie lange versprochene und doch nicht verwirklichte Hardwareprodukte wie das
Jaguar VR-System halfen auch nicht gerade. Die Nachfolgeprojekte
Jaguar·Duo und
Jaguar² wurden schließlich nicht mehr verwirklicht.
Weiterführung des Arcadespiel-Sektors als Atari Games |
Die zweite 1984 aus Atari hervorgegangene Firma ist die Atari Games Corporation. Anfangs gehörte die Firma wie der Vorgänger noch zu Warner Communications, 1985 erwarb allerdings Namco eine Mehrheitsbeteiligung an Atari Games, die 1987 wieder abgestoßen wurde. Hierzulande ist Atari Games leider relativ unbekannt, da in Westdeutschland das Jugendschutzgesetz 1985 derart verschärft wurde, dass es nahezu unmöglich wurde, Arcadespiele außerhalb von Spielhallen, die keinen Zutritt für Minderjährige erlauben, überhaupt aufzustellen. Die Titel einiger Spiele sind daher in Europa eher als Konsolenumsetzungen bekannt – dazu gehören unter Anderem
Marble Madness,
Paperboy,
Indiana Jones and the Temple of Doom,
720°,
Toobin' und andere. 1989 konnte Atari Games eine Arcadeumsetzung des sowjetischen Videospiels
Tetris auf den Markt bringen, eine
Videospielumsetzung davon für das NES unter der Tochterfirma Tengen beschäftigte allerdings jahrelang amerikanische Gerichte. Anfang der 1990er Jahre waren unter Anderem
Hard Drivin' und
Tournament Cyberball erfolgreiche Titel. Ab 1991 jedoch begann der langsame Abstieg. Zählte Atari Games vorher noch zu den innovativsten Spieleschmieden, fehlten ab da die zündenden Ideen und es wurden eher Fortsetzungen bekannter Titel auf den Markt gebracht. 1993 erwarb Time Warner eine kontrollierende Mehrheit an Atari Games und gliederte es in die Time Warner Interactive-Gruppe ein, 1994 starb schließlich der langjährige Präsident Hideyuki Nakajima an Lungenkrebs. Unter der Time Warner-Führung erschienen unter Anderem
Primal Rage und
Area 51 – letzteres nutzt die Hardware des Jaguar von der Schwesterfirma Atari Corporation unter dem Namen CoJag. 1996 wurde Atari Games schließlich an WMS Industries verkauft, die es an ihre Tochter Midway Games weiterreichte. Mit der
San Francisco Rush-Reihe konnte Atari Games noch einmal Achtungserfolge erzielen, bevor die Firma 1999 in Midway Games West umbenannt und 2001 das Arcadegeschäft endgültig eingestellt wurde.
Die Software-Label – Atarisoft, ARC, Tengen/Time Warner Interactive und Atari Interactive |
Atari vertrieb aber nicht nur Hardware, sondern auch Software, und blieb dabei nicht nur bei seinen eigenen Systemen. Unter dem Label Atarisoft erschienen zahlreiche bekannte Atari-Titel für Apple II, Commodore 64, IBM PC und andere Systeme. Das britische Label ARC Software brachte zwischen 1989 und 1991 Spiele für ST, Amiga, Dragon 32 und MS-DOS auf den europäischen Markt. Die Atari Games-Tochter Tengen brachte ab 1987 Spiele für die Konsolensysteme NES, Game Gear, Master System und Mega Drive auf den Markt, auch einige Computerspielumsetzungen für C64 und Amiga erschienen unter Tengen. Die Firma musste sich aber die meiste Zeit ihrer Existenz mit Gerichtsprozessen auseinandersetzen, allen voran mit Nintendo, deren Lockout-Chip Tengen illegalerweise kopierte, um eigene NES-Module ohne Lizenzierung durch Nintendo auf den Markt bringen zu können. 1994 wurde Tengen dann in Time Warner Interactive umbenannt und brachte Spiele für PlayStation, Saturn und andere Konsolensysteme in den Handel, wie bei Tengen handelt es sich zumeist um Umsetzungen von Atari Games-Arcadespielen. Anfang 1996 erfolgte der Versuch der Atari Corporation, im PC-Spielemarkt Fuß zu fassen. Unter dem Label Atari Interactive sollten 1996 MS-DOS-Umsetzungen von 17 bekannten Atari-Spielen auf den Markt kommen, beginnend mit
Tempest 2000, Baldies, Highlander und Flip Out! Jedoch kam nur Tempest 2000 auf den europäischen Markt und das Label wurde kurze Zeit später wieder eingestampft – Grund dafür dürften wohl die Fusionsgespräche mit JT Storage gewesen sein. Das Label Atari Interactive wurde später von den Rechteinhabern Hasbro und Infogrames erneut aufgenommen.
Das Ende einer Ära – Der leise Abgang des Branchengründers |
1996 endet die Geschichte der Atari Corporation mit der Fusion mit JT Storage zur JTS Corporation, 1999 die der Atari Games Corporation mit der Umbenennung in Midway Games West – zwar mögen die Nachfolger den Namen tragen und die alten Rechte verwerten, mit der historischen Firma indes haben sie jedoch ansonsten nur noch wenig gemeinsam. Daher werden die Videospiele ab 2001 und damit auch die Konsolen Flashback, VCS und 2600+ auf diesen Seiten derzeit nicht behandelt.
Letzte Seitenbearbeitung: 20. März 2024